Gerald Ullrich

Zwei-Klassen-Wirtschaft darf nicht zum Dauerzustand werden

Gerald Ullrich, MdB

Die Lockdown-Monate haben tiefe Risse in der deutschen Wirtschaft hinterlassen, nicht alle sind bereits in vollem Ausmaß sichtbar. Eine Unterteilung der Unternehmen nach Betroffenheit der Corona-Bestimmungen zeigt, dass Probleme nicht nur akut sind, sondern weit in die Zukunft wirken. Auf der einen Seite stehen die Branchen, welche kaum von den Regularien, Auflagen und Schließungen betroffen sind. Nach dem anfänglichen Schockmoment im Frühjahr 2020 gab es hier eine gewisse Aufbruchsstimmung. Obwohl der digitale Sektor hier eine wesentliche Rolle spielt, sind Unternehmen auch in anderen Branchen gewachsen. Dem gegenüber haben komplette Wirtschaftszweige seit Monaten, teilweise ein ganzes Jahr, keine Perspektive.

Zwischen diesen beiden Polen gibt es allerdings wenig. Selbstverständlich hat sich die Kommunikation in den Büros geändert und im produzierenden Gewerbe haben Hygienekonzepte die Arbeit nicht immer leichter gemacht. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Zahl derer, die in der einen oder anderen Hinsicht stark von der Pandemie betroffen sind, höher ist, als die Gruppe von Betrieben, für die es mehr oder weniger normal weiterging. Ein solches Ungleichgewicht wird sich auf die weitere Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaft auswirken. Denn die Pandemie fällt in eine Phase, welche Wandel und Investitionen zwingend voraussetzen, um etwa in Digitalisierung und Wirtschaft 4.0 im weltenweiten Wettbewerb bestehen zu können. Wer über Monate nicht wusste, wann und wie wieder voll gewirtschaftet werden kann, hat verständlicherweise seine Investitionen zurückhalten. Doch wo nicht investiert wird, sinkt das Innovationspotenzial und damit die Grundlage zukünftigen Erfolgs. Dieses über den vornehmlich betroffenen Branchen schwebende Damoklesschwert wird bereits von ersten Studien bestätigt.

Investitionsbereitschaft und Unternehmermentalität bilden die Grundlage, um aus der Krise zu wachsen. Es ist richtig, dass der Pandemieverlauf schwierig vorhergesagten werden konnte. Deshalb ist es für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands von elementarer Bedeutung, dass wir alle Hindernisse für Investitionen, Unternehmergeist und Gründungen beiseite räumen, welche nicht mit der Pandemie verbunden sind. Ein Betriebsinhaber, der dem Ruhestand entgegengeht und keinen Nachfolger findet, wird ebenso wenig investieren, wie ein Betrieb, der sich mit Hilfskrediten am Leben hält. Unternehmen, die keine Wachstumsfinanzierung erhalten, wird die Steigerung ihres Potenzials ähnlich genommen wie jenen, deren Geschäftsgrundlage weggebrochen ist. Ein in der Bürokratie festsitzender Gründer kann gleich wenig tätig sein, wie ein Corona bedingt geschlossener Betrieb.

Die Vielfalt der Stöcke und Stolpersteine ist dabei beachtlich. Allein über den Bürokratieabbau ließen sich ganze Bände füllen, welche von der Bundesregierung nie gelesen werden. Im Folgenden soll weiter die Finanzierung im Mittelpunkt stehen. Es gilt, Unternehmen die Erhöhung der Eigenkapitalquote zu ermöglichen. Als Mitglied des Unterausschusses für ERP-Wirtschaftspläne ist es deshalb notwendig, Nachrang- oder Mezzanine-Finanzierungen der ERP-Programme zu verbessern. Ebenso ist innerhalb des Programms „ERP-Kapital für Gründer“ eine höhere Kostenübernahme einzurichten und die nötige Eigenkapitalquote für Investition abzusenken. Jedoch bilden nicht staatliche Fördergelder, welche erst beantrag werden müssen, die Grundlage von Investitionen. Aus diesem Grund ist die gewinnmindernde Absetzbarkeit von Investitionen für kleine und mittlere Unternehmen erheblich auszuweiten.

Jedes Unternehmen muss die für sich beste Lösung finden können. Deshalb sind neue Optionen zu schaffen und rechtlich abzusichern. Während der Pandemie wuchs der Handel von Aktien und anderen Finanzprodukten durch Privatpersonen, besonders durch junge Menschen. An vielen mittelständischen Betrieben ging diese Entwicklung jedoch vorbei. Crowdfinanzierung und weitere neue Finanzierungsformen bilden eine Lösung, diese Lücke zu schließen. Auf diese Weise werden Investitionsmöglichkeiten geschaffen, welche zusätzlich die Grundgedanken der verantwortungsvollen Wirtschaft weitergeben.

Denn der regional verwurzelte Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Coronakrise darf nicht dazu führen, industriepolitischen Fantasiespielen von Champions und Zusammenschlüssen durch den Wegfall der Mittelständler Vorschub zu leisten. Hierin besteht die langfristige Gefahr der geteilten Wirtschaftsstruktur. Aufgabe der Politik ist es deshalb, Perspektiven aufzuzeigen und Potenziale zu entfesseln, damit Unternehmer ihrer eigentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen können.