Am 30. Juni veranstaltete die Europa-Union Thüringen einen Online-Bürgerdialog zum Thema „Zusammenbleiben und Zusammenhalten - Können Städtepartnerschaften zur Überwindung der Corona-Krise beitragen?“. Als ihr stellvertretender Vorsitzender drehte ich mit der Vorsitzenden, Claudia Conen, und dem Botschafter der EU in Deutschland, Jörg Wojahn, ein Video, in dem wir dieses Politikfeld kurz zusammenfassen.
Ab 1. Juli hat Deutschland den Vorsitz im Europäischen Rat inne.
Wie, Sie wissen nicht, was das bedeutet? Das zeigt das erste Problem der Europapolitik der Bundesregierung: Sie klärt zu wenig auf.
Ein Crashkurs:
Der Rat der EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament verabschieden EU-Gesetze.
Der Ratsvorsitz bestimmt die Tagesordnung im Rat der EU-Mitgliedstaaten und kann Projekte, die ihm wichtig sind, beschleunigen:
Die Bundesregierung verfolgt beispielsweise die Aufweichung des EU-Wettbewerbsrechts zum Vorteil von Großkonzernen und zum Nachteil des Mittelstandes und der Verbraucher.
Der Ratsvorsitz kann Unliebsames hinten anstellen:
Die Bundesregierung plant keine Initiative, um dem Europaparlament zu erlauben, sich für einen einzigen Sitz zu entscheiden und den monatlichen Wanderzirkus von Brüssel nach Straßburg zu beenden, der Steuergeld und CO2 kostet.
Als Bürger, Verein oder Unternehmen fragen Sie sich, wie Sie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Chance für sich nutzen können. Dass Sie das ohne eigene Lobbyabteilung in Berlin und Brüssel schlecht können, zeigt das zweite Problem der dt. Europapolitik: Sie erlaubt zu selten Beteiligung.
Beim Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa schloss die Bundesregierung ohne Absprachen mit den europäischen Partnern die Grenzen (Heimreisende und LKW-Lieferungen strandeten) und verbot den Export von Medizingütern nach Italien (wo Masken und Beatmungsgeräte knapp wurden). Die Bundeskanzlerin hat am 19. Juni 2020 im Bundestag eingeräumt, dass dies ein Fehler war.
Was sagt das über die Europapolitik der Bundesregierung aus?
Für Verkehr von Gütern und Heimreisenden ist das Verkehrsministerium zuständig, für Grenzschließungen das Innenministerium, für Exportbeschränkungen das Wirtschafts-ministerium, für Infektionsschutz das Gesundheitsministerium. Das Auswärtige Amt ver-tritt die Politik der Bundesregierung auf EU-Ebene.
Hätten diese Ministerien besser mit dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet, dann wäre auch dem Gesundheitsministerium und dem Wirtschaftsministerium klar gewor-den, dass ein Exportverbot von Medizingütern nach Italien angesichts der sich stapelnden Särge in Bergamo ein diplomatischer Totalschaden ist.
Eine moderne deutsche Europapolitik braucht deshalb drei Elemente:
- Erstens, eine bessere Aufklärung der Bevölkerung.
- Zweitens, mehr öffentliche Beteiligungsmöglichkeiten.
- Drittens, eine gestärkte europapolitische Koordinierung innerhalb der Bundesregierung.
So würde unsere Ratspräsidentschaft ein neuer Aufbruch für Europa.
Am 2. Juli habe ich im Bundestagsplenum am Schlagabtausch zum nächsten siebenjährigen EU-Haushaltsplan teilgenommen. Meine Rede könnt Ihr Euch hier anschauen.
Ich hätte gemeint, dass meine Forderungen eigentlich für Politiker aller Parteien selbstverständlich sein sollten: EU-Geld nur für Rechtsstaaten. EU-Geld nur gegen Verbesserungen beim Kampf gegen den Betrug mit EU-Mitteln. EU-Geld nur gegen die von der EU-Kommission empfohlenen Reformen in den Mitgliedstaaten.
Doch das sind sie leider nicht: Die CDU scheut den Konflikt mit ihrer Schwesterpartei in Ungarn und deren nicht lupenrein demokratischen Regierungschef Victor Orban. Grüne, SPD und Linke finden die Reformauflagen zu hart. Und die AfD will der EU alles Geld wegnehmen, sodass sie faktisch aufhört, zu existieren.
Glücklicherweise werden diese FDP-Forderungen auch vom niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, der unserer Schwesterpartei angehört, beim Gipfel der Regierungschefs zum EU-Haushalt am 17. und 18. Juli in Brüssel verteidigt.